Guter schriftlicher Ausdruck erfordert relativ wenig Faktenwissen (deklaratives Wissen), dafür aber viel Verfahrenswissen (prozedurales Wissen). Selbstverständlich könnte man diese Aussage mit gleicher Berechtigung auf alle möglichen Tätigkeiten übertragen. Dennoch entspricht sie, wenigstens in dieser bewusst pointierten Form, nicht der allgemeinen Auffassung von Sprache und Spracherwerb.
Die Ursache mag zunächst paradox klingen. Sie liegt nämlich darin, dass die meisten Menschen heute Erfahrung mit dem Erwerb einer oder mehrerer Fremdsprachen haben. Nun wird auf dieser gängigen Ebene des Spracherwerbs tatsächlich viel Faktenwissen vermittelt. Dieser Eindruck verfestigt sich und prägt das allgemeine Verständnis.
Die Begrenztheit an Faktenwissen spricht umso mehr dafür, dass man möglichst viel davon erwirbt und anwendet. Hier sind zunächst ganz einfache Formalien gemeint – etwa der Umgang mit Zahlen, Maßeinheiten oder Gliederungsebenen. Auch gewisse Grundlagen der computergestützten Textverarbeitung fallen in diese Kategorie. Gleichzeitig sollte man die gängige Vorstellung ablegen, dass sich die Qualität von Texten (nämlich ihre Transparenz und Lesbarkeit) in erster Linie an Rechtschreibung und Grammatik messen lässt.
Das weite Feld der Grammatik ist für eine solche Vereinfachung viel zu komplex. Die Rechtschreibung ist weniger komplex, ihr praktischer Einfluss auf die Lesbarkeit von Texten wird aber tendenziell überbewertet. Immerhin: Wenn Sprachexperten (also auch Übersetzer) in diesem Bereich auffällige Defizite zeigen, kann man bestimmte Rückschlüsse auf sonstige Qualitäten ziehen. Kein erwachsener Leser wird aber solche Rückschlüsse zu Autoren ziehen, deren Arbeitsschwerpunkt nicht im Schreiben selbst liegt.
Eigentlich kann man unter nützlichem Faktenwissen alles verstehen, was eine aufgeräumte, saubere Grundlage zur Auseinandersetzung mit den Verfahrensaspekten der Textproduktion schafft. Es geht hier nicht um ein bequemeres Leben für Rezensenten, Lektoren oder Übersetzer. Sehr wohl geht es um den Leser. Vor allem jedoch tut sich der Autor selbst einen Gefallen, wenn er beim Schreiben nicht ständig das Rad neu erfinden muss.
Jeder »fortgeschrittene« Umgang mit Sprache führt unweigerlich zu der Erkenntnis, dass vermeintlich weiterführende Regeln und Gesetzmäßigkeiten bei kritischer Betrachtung immer stärker verschwimmen. Unterricht auf diesem Niveau erscheint oft willkürlich und unrepräsentativ, weil die Dichte an objektiven und verallgemeinerbaren Inhalten drastisch abnimmt.
Die neue Herausforderung liegt im Erarbeiten und Anwenden von Verfahrenswissen. Dies ist kein Lernprozess im engeren Sinn. Eher handelt es sich um einen kreativen Vorgang, bei dem verinnerlichtes Wissen kontinuierlich und bewusst gegen neue Inhalte abgewägt wird. Wichtig ist vor allem die aktive Auseinandersetzung mit dem geschriebenen Wort.
Neu erschlossenes Verfahrenswissen sollte in der Praxis nur sparsam eingesetzt werden. Man sollte sich von der Vorstellung lösen, dass neu erschlossene Wissensinhalte immer sofort mit Gewinn anwendbar sind. Vielmehr wächst ihr Wirkungsgrad mit dem Grad der allmählichen Internalisierung unter die Wahrnehmungsschwelle. Verfahrenswissen wächst also kontinuierlich in der aktiven Auseinandersetzung mit Sprache, tut dies aber nicht in Echtzeit.
Allerdings präsentieren sich die Realitäten des Alltags sehr wohl in Echtzeit. Die meisten medizinisch-wissenschaftlichen Arbeiten werden von klinisch tätigen Ärzten geschrieben, die entsprechend unter Zeitdruck stehen. Man kann von diesen Autoren nicht wirklich erwarten, dass sie einen mehrgleisigen Ansatz mit Erwerben von Faktenwissen und Erarbeiten von Verfahrenswissen fahren.
Konzentrieren wir uns daher auf die guten Neuigkeiten. Und die gibt es durchaus. Zahlreiche Aspekte von Sprache sind nämlich selbstverständlich. Und beim Schreiben selbst sollten wir uns ohnehin auf das Naheliegende konzentrieren und nicht auf das Fernliegende. Gebildete erwachsene deutschsprachige Autoren verfügen meist auch im Englischen über mehr verinnerlichtes Wissen, als ihnen vielleicht bewusst ist. Texte von Autoren, die sich konzentriert auf diese Elemente zurückziehen, gewinnen enorm an Authentizität.
Umgekehrt liegt ein sehr gängiges Problem darin, dass sich deutschsprachige Autoren beim Schreiben von englischsprachigen Texten auf eine Sprachebene begeben, die sie überfordert und die zur Präsentation der Inhalte auch gar nicht notwendig ist. Das Resultat ist meist ein schwer zu durchschauendes Sammelsurium aus selbst erdachten »Fehlervermeidungskonstruktionen« einerseits und Versatzstücken aus der publizierten Literatur andererseits.
Wir müssen mit unserer »schriftstellerischen Gesamtenergie« klug haushalten. Für wissenschaftliche Arbeiten kann dies nur bedeuten: volle Konzentration auf Transparenz und Lesefreundlichkeit und pragmatischer Umgang mit nachgeordneten Elementen, die dieses Primat nicht wesentlich unterstützen. Wenn wir mehr Gesamtenergie als nötig auf nachrangige Fragen verwenden, geht dies unweigerlich auf Kosten des vorrangigen Prinzips der Lesefreundlichkeit.
© 2009-07-14 Wilfried Preinfalk. Alle Rechte vorbehalten.