Sehr viele Autoren formulieren ihre Inhalte über weite Strecken unangemessen ausführlich. Diese überspezifische Ausdrucksweise hat mehrere Gründe. Die vielleicht wichtigste Ursache liegt darin, dass sich manche Gedanken gegen eine klare sprachliche Umsetzung irgendwie zu sträuben scheinen. Wird der Kern nicht ganz genau herausgearbeitet, erfolgt die Umsetzung gleichsam mit Ballast aus dem Orbit des Gedankens (also »Weltraummüll«, wenn man beim Bild bleiben will).
Zweitens sind wir bei der Arbeit an schwierigen Texten häufig in der Perspektive eines Maulwurfs gefangen (mehr hierzu auf der nächsten Seite). Aus diesem Blickwinkel überschätzen wir leicht das Maß an Ausführlichkeit, das wir dem Leser schuldig zu sein glauben. Drittens werden die erörterten Zusammenhänge für uns als Autoren zunehmend selbstverständlich. Irgendwann verlieren wir somit das Gefühl dafür, welchen Wissensstand wir an welchen Stellen im Text voraussetzen können.
Der Leser aber erwartet immer nur Neues. Wenn er schon über Formulierungen nachdenken muss, will er diese Erwartung auch eingelöst sehen. Alles andere empfindet er als Verstoß gegen das Belohnungsprinzip. Je mehr er sich über Formulierungen den Kopf zerbrechen muss und dabei immer wieder zu dem Schluss kommt, dass ein Großteil des Gemeinten ohnehin schon mehrmals gesagt wurde, umso mehr empfindet er die Lektüre als Zumutung und Zeitverschwendung.
Sprache besteht zu ganz wesentlichen Teilen aus Klischees. Diese haben Entlastungsfunktion. Sie beschleunigen das Entschlüsseln der Form und somit den Zugang zum Inhalt. Beispielsweise verdanken wird diesen Klischees, dass wir am Ende einer Seite oft überraschend exakt die weitere Formulierung am Anfang der nächsten Seite antizipieren können.
Unterschwellig ist dieser Effekt auch innerhalb von Seiten stets wirksam. Genau aus diesem Grund können wir Texte zur Not auch diagonal lesen und die Kernaussagen dennoch erfassen. Wenn diese Klischees aus Unkenntnis der sprachlichen Konventionen nicht bedient werden, ist ein beeinträchtigter Lesefluss unvermeidlich. Gewiss schreiben deutschsprachige Autoren besser verständliches Englisch als etwa japanische Autoren. Dennoch ist meist deutlich zu erkennen, dass unzählige Erwartungen an die idiomatischen Konventionen des Englischen nur mangelhaft bedient werden.
Wesentlich für die idiomatische Lockerheit von Texten ist auch ein solides Gefühl für etablierte logische Verkürzungen und die relative Gängigkeit von Ausdrucksmitteln. Defizite dieser Art lassen sich nur sehr eingeschränkt durch Logik ausgleichen. Dies liegt in der Natur der Sache. Immerhin haben sich viele sprachliche Konventionen zur Verkürzung von logischen Zusammenhängen entwickelt. Versuche der logischen Wiederverlängerung wirken daher ungewöhnlich. Der Leser wird in Anbetracht dieser Ungewöhnlichkeit vergeblich nach neuen Erkenntnissen suchen.
Erfahrungsgemäß ist dieser Hang zur »totalen Logik« bei Autoren mit deutscher Muttersprache besonders stark ausgeprägt und erweist sich in englischsprachigen Texten, aus den genannten Gründen, als sehr kontraproduktiv. Der »logische Expansionskoeffizient« kann dabei so groß werden, dass ohne profunde Textanalyse (z. B. im Rahmen von Übersetzungs- oder Redaktionsarbeiten) allenfalls noch der Autor selbst das Geschriebene wirklich versteht. Defizite dieser Art bestehen selbst in gut publizierten Arbeiten. Sie sind sehr viel häufiger, als man vielleicht annehmen möchte.
Das Prinzip der minimalen Ausführlichkeit macht Texte tendenziell kürzer, das Prinzip der idiomatischen Auflockerung macht sie tendenziell länger. Folglich lässt sich die Textdichte nicht immer an der Textlänge ablesen. Entscheidend ist vielmehr das Verhältnis zwischen Informationen und Klischees. Mit diesem Themenkomplex sollte sich jeder Autor auseinandersetzen. Er ist deshalb so wichtig, weil er die richtigen Zweifel am eigenen Können weckt und somit die weiteren Lernprozesse in korrekte Bahnen lenkt.
© 2009-07-14 Wilfried Preinfalk. Alle Rechte vorbehalten.