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9  Sprachebene und Grammatik

 

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Einleitung

Nach den Überlegungen zum Thema Stil bleiben von den drei Gesichtspunkten, die im Zusammenhang mit Sprache häufig zu hören sind, noch die Rechtschreibung und Grammatik. Wie wir gleich argumentieren werden, erkennen wir auch in diesen beiden Kriterien aus dem traditionellen Sprachunterricht wenig Nutzen für die Beurteilung von wissenschaftlichen Publikationen auf ihre sprachliche Präsentationsgüte. Etwa würde kein vernünftiger Mensch einen Fachautor danach beurteilen, ob dieser alle Rechtschreibregeln korrekt anwendet, und systematische Verständnisdefizite sind auf dieser Ebene schon gar nicht zu erwarten.

Grammatik wiederum ist ein weites Feld. Deutschsprachige Autoren mit solider Ausbildung schreiben in ihrer Muttersprache ohnehin auf einem Niveau ohne sinnstörend ungrammatische Konstruktionen. Im Englischen unterlaufen ihnen zwar viele Fehler, die aber wenigstens in den vordergründigeren Aspekten der Grammatik selten ein Niveau erreichen, auf dem sie die Klarheit des Ausdrucks nennenswert behindern. Umgekehrt gehen Konstruktionen, die in erster Linie der Fehlervermeidung dienen und dabei komplizierter als notwendig ausfallen, schnell auf Kosten dieser vorrangigen Grundsätze.

Folglich sind Rechtschreibfehler und (manche) Grammatikfehler im Zweifelsfall durchaus nachrangig. Erfahrungsgemäß gibt es Autoren, die trotz Defiziten in diesen Bereichen überaus komplexe Inhalte wunderbar darstellen können. Andere wahren so angestrengt die Form, dass sie ihre Aussagen genau dadurch verunstalten. Natürlich sind sinnstörend ungrammatische Konstruktionen nicht optimal. Es wäre aber ein Irrglaube, in Grammatikfehlern die Hauptursache für schwer verständliche Texte zu vermuten.
 

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Sprachebene

Schon viel wichtiger in diesem Zusammenhang ist die Sprachebene. Die Forderung, dass sich Autoren möglichst nur auf Sprachebenen begeben sollten, die sie auch beherrschen, wird normalerweise mit bereitwilligem Nicken quittiert. In der Realität halten sich aber die wenigsten von uns an diesen Grundsatz. Zum einen kommt beim Schreiben auf ganz natürliche Weise ein gewisser schriftstellerischer Ehrgeiz ins Spiel, der zwangsläufig zur »höheren« Sprachebene tendiert. Viel eher muss man sich aktiv konzentrieren, um dieser natürlichen Tendenz angemessenen Widerstand entgegenzusetzen.

Auch gebildete Autoren halten eine bildungssprachlich fundierte Sprachebene oft nicht konsequent durch, wenn es an formalen Wissensinhalten oder kontinuierlicher Übung fehlt. Dieser Befund ist ganz normal, da Sprache sehr unterschiedliche Funktionen erfüllt, die wiederum von sehr unterschiedlichen Wissensinhalten getragen werden. Manche davon gleichen eher der Fähigkeit zum Radfahren (einmal gelernt, fällt man nie wieder hinunter), andere eher der Abrufbarkeit eines gehobenen musikalischen Repertoires auf einem Musikinstrument (ohne kontinuierliche Übung aussichtslos).

Es gibt im deutschsprachigen Raum viele Ärzte, die sehr gut Englisch sprechen und dabei auch komplexe Sachverhalte gut ausdrücken können. Wir sehen aber seit Jahrzehnten jeden Tag aufs Neue, welch große Probleme der sprachlichen Präsentation in Manuskripten von solchen Ärzten dennoch stecken können. Zumal im Englischen wird schon die Fähigkeit zu alltagstauglichen Konversationen nicht selten mit bildungssprachlicher Kompetenz auf quasi-literarischem Niveau verwechselt. Gepaart mit Prestigedenken kann dies in Einzelfällen bis hin zu einer ausgeprägten Selbsttäuschung führen.

Eine angestammte Sprachebene kann ohne profunde Sozialisation oder gründliches Studium der Sprache überhaupt nicht existieren. Unser Schulwissen aus hiesigen Gymnasien ist keine ausreichende Basis für geschriebenes Englisch auf bildungssprachlichem Niveau. Alle Versuche einer Simulation auf dieser Grundlage sind zum Scheitern verurteilt, weil der Autor ständig aus der Rolle fällt. Selbst mehrjährige Auslandsaufenthalte können dieses Manko allenfalls dann beheben, wenn sie in erster Linie der Sprache selbst gelten.

Nun zur guten Nachricht: Für wissenschaftliche Arbeiten besteht überhaupt keine Notwendigkeit des Simulierens und Durchhaltens einer gehobenen Sprachebene. Oft liegt der Schlüssel zum Erfolg weniger im weiterführenden Erlernen der Sprache als vielmehr im praktischen Umgang mit Fehlervermeidung. Diese Neuorientierung sollte weg von der Fehlervermeidung durch Kompliziertheit und hin zur Fehlervermeidung durch Einfachheit führen.

Denn je einfacher ein Autor formuliert, umso weniger Konventionen kann er verletzten. Auf diese Weise lassen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, denn die nötige Gedankenarbeit für einfache Formulierungen fördert zwangsläufig auch die Transparenz des Geschriebenen. Beides ist für medizinisch-wissenschaftliche Texte wünschenswert. Diese Rückführung des Ausdrucks auf eine unkomplizierte »Wohlfühlebene« ist zugleich Garant für eine korrekte Sprachebene. Der Autor fällt auf diesem Niveau nie aus der Rolle und kann trotzdem (und gerade deshalb) selbst noch komplizierte Inhalte effizient vermitteln.
 

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Grammatik

Einer gängigen Halbwahrheit zufolge soll die englische Grammatik einfach sein. Hieraus wird gern der Schluss abgeleitet, dass Englisch leichter zu schreiben sei als andere europäische Sprachen. Sowohl das Deutsche als auch die romanischen und slawischen Sprachen stellen nämlich sehr spezifische und komplexe Anforderungen, die dem Lernenden zunächst fast unüberwindlich erscheinen. Die englische Sprache hingegen besitzt keine einzelne Hürde mit vergleichbarem Schwierigkeitsgrad.

Unter Sprachexperten herrscht weitgehend Einigkeit, dass diese fehlenden Hürden in den frühen Lernphasen durch umso größere Subtilitäten in späteren Phasen wieder ausgeglichen werden. Auch wenn diese Wertung immer auch eine Frage der sprachhistorischen Nähe oder Distanz zur eigenen Muttersprache ist, gibt es nach dieser modernen Auffassung letzten Endes keine einfachen oder schweren Sprachen.

Somit besteht auch keine Veranlassung, der englischen Sprache einen quasi »grammatiklosen« Zustand zu unterstellen, wie dies bei uns gern getan wird. Oft wird diese Interpretation als willkommene Ausrede für Gedankenlosigkeit und Beliebigkeit im Ausdruck oder Satzbau herangezogen. Ein gutes Beispiel ist der verbreitete Irrglaube, wonach man sich Kommas im Englischen weitgehend »aussuchen« kann. Diese Haltung krankt schon an der fehlenden Einsicht, dass Regeln kein Selbstzweck sind, sondern einen konsequenten Umgang mit bestimmten sprachlichen Elementen sicherstellen sollen. Nun ist aber eine konsequente Kommasetzung überhaupt nicht möglich, wenn das Bewusstsein für die speziellen Funktionen des Kommas innerhalb des gegebenen Sprachsystems fehlt. Umgekehrt liefert ein entsprechend geschärftes Bewusstsein viele Regeln frei Haus.

Fragen der Grammatik wurden auf diesen Internetseiten schon in anderen Zusammenhängen erwähnt. Auch historische Tendenzen der Annäherung an Grammatik im englischen (deskriptiv) und deutschen (präskriptiv) Sprachraum wurden kurz angesprochen. Nun ist aber eine deskriptive Herangehensweise an grammatikalische Phänomene nicht so zu interpretieren, dass angesichts fehlender Konventionen keine verbindlichen Praktiken erforderlich sind. Auch im Englischen existieren sehr deutliche Konventionen des schriftlichen Ausdrucks, an die sich beim Schreiben besser hält, wer Kommunikationsdefizite nicht in Kauf nehmen möchte und seinen Lesern mit angemessenem Respekt begegnen will. Beliebigkeit ohne realen Unterbau führt auch im Englischen sehr rasch auf dünnes Eis.

Auch präskriptive Regeln haben jedoch im Idealfall nicht nur verordnenden Charakter, sondern auch eine tiefere Logik. Sie sollen Gedankenlosigkeit und Beliebigkeit nicht ermöglichen, sondern verhindern. Wenn wir also Halt in Regeln suchen, sollten wir auch akzeptieren, dass jeder Mangel an Konsequenz und jede Verletzung einer ungeschriebenen Konvention in der Praxis als Regelwidrigkeit verstanden werden kann.

 

 

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 © 2009-07-14 Wilfried Preinfalk. Alle Rechte vorbehalten.

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